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2007-03-01 Angelika-Benedicta Hirsch
Alles Geschmackssache? Zur literarischen Qualität
Mit dem Argument: "Das ist eben Geschmackssache" kann man in puncto Kunst jeder Diskussion schnell die Flügel abschneiden. "Kunst ist wertfrei", "Erlaubt ist, was gefällt" sind andere Slogans. Dabei übersehen wir gern, dass wir selbst ständig werten (weil wir nur so unsere Umwelt sortieren können) und dabei sehr häufig intuitiv "Das gefällt mir" mit "Das ist gut" gleichsetzen. Literaturkritik war schon immer ein heikles Geschäft, bei dem nicht nur Hektoliter Tinte geflossen sind (wie mein hoch geschätzter Professor Carsten Colpe sagen würde), sondern sicher ebensolche Mengen an Herzblut vergossen wurden. Also den Versuch gleich aufgeben? Nein! Das können wir gar nicht und wollen wir auch nicht wirklich. Also bleibt als Lösung, sich die eigenen Maßstäbe anzuschauen, die eigenen subjektiven Positionen wahrzunehmen und sie immer wieder selbstkritisch auf den Prüfstand zu stellen. Literaten reifen durch gute Kritik, wie auch jedes andere Geschäft durch gute Kritik reif. Standardmäßige gnadenlose Verrisse bringen dabei eben so wenig wie permanente Lobhudelei (Reich-Ranicki).
Einige Vorschläge für gute Kritiken in Stichworten:
- Gute Kritik ist kompetent: D.h. die Kritiker kennen sich aus, sie haben Übung, sie kennen viele Texte und können deshalb den fraglichen Text in einen Kontext stellen.
- Gute Kritik ist ideologiefrei: Kritiker können von den eigenen ideologischen Präferenzen absehen und zugestehen, dass der Autor eine andere Weltsicht hat. Das bedeutet nicht Beliebigkeit, sondern es bedeutet, dass sich der Kritiker der eigenen Grundannahmen bewußt ist und dies ggf. auch thematisieren kann.
- Gute Kritik mißt den Text an dem, was der Autor damit will. Am Beispiel verdeutlicht: Wer einen Krimi schreiben will, sollte nicht an Thomas Mann gemessen werden, wer Thomas Mann imitieren will, sollte dagegen durchaus an ihm gemessen werden. Ein Gelegenheitsgedicht will nicht Welterklärung sein, kommt ein Gedicht aber mit großer Geste daher, dann dürfen Form und Inhalt sorgfältig darauf abgeklopft werden, ob sie dem Anspruch gerecht werden.
Praktisches für das Sich-üben-im-Kritisieren:
- Hausmittel Wiederholen: Wenn ich nicht sicher bin, ob ein Text gut oder weniger gut ist, dann hilft es, ihn wiederholt zu lesen. Ist die Faszination nach dem ersten Lesen verschwunden, entdecke ich nichts Neues mehr, dann dürfte der Text eher schlicht sein.
- Betroffenheitheitsfalle: Bin ich betroffen, weil der Text aktuell für mich von großer Bedeutung ist, oder kann ich davon ausgehen, dass er es auch für ein größeres Publikum ist?
- Formfalle: Hat der Autor seine Form wirklich aus einem Ausdrucksbedürfnis entwickelt oder tut er nur so (Goethe: "Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt.")
- Kitsch oder Kunst? Auch hier streiten sich im Einzelfall die Gemüter. Hilfreich für die Unterscheidung finde ich die Stichworte: trivial, sentimental, phantastisch und inflationär. Konkret: Beschreibt der Text etwas allgemein Bekanntes, etwas Gewöhnliches in einer realitätsfernen, klischeehaften, übertrieben gefühlvollen Weise, die in Sprache, Verständlichkeit und Emotionalität den Erwartungen eines Massenpublikums entgegen kommt? Vorsicht: "Gewöhnliches" ist nicht unbedingt gleichzusetzen mit "Allgemeingültigem". Die Sehnsucht nach Liebe ist allgemeingültig und damit auch gewöhnlich. Die Bearbeitung des Themas kann purer Kitsch sein ("Ein armes Mädchen wird Baronin") oder große Literatur (Effie Briest).
Wir haben immer eine Meinung, und es bringt nichts, sie in political correctness zu verpacken und zu meinen, man sei damit schon objektiv. Je besser ich lerne, fremde Texte zu beurteilen, desto besser kann ich auch selbst schreiben. Üben, üben, nichts als üben, auf die Gefahr hin, dass das eine oder andere mißlingt, nur durch Üben, in der Kritik an fremden Texten und im Schreiben und Sich-kritisieren-Lassen eigener Texte wird etwas nachhaltig Gutes entstehen.
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