LESEPROBE
Taroudannt – Nähe Ouaoufenrha (55 km)
8. November 2011:
Auch heute Morgen funktioniert die Stadt
noch nicht wieder wie gewohnt. Es gibt kein frisches Brot, auch
die Bäckerinnen feiern Opferfest. Damit wir frühstücken können,
kauft Petra beim Gemischtwarenladen um die Ecke Brot von gestern,
das irgendwo noch unter der Theke liegt. Das Hotel-Cafe
fügt Butter, Marmelade und Milchkaffe dazu.
Frisch gestärkt starten wir ins Abenteuer. Ziel ist Igherm, über
1700 Meter hoch im Anti-Atlas gelegen. Die ersten 30 Kilometer
sind recht leicht. Raus aus Taroudannt. Hinter Ait Yazza nach
Befragung von Einheimischen den richtigen Abzweig zu finden, auf
der neuen Brücke locker das trockene Souss-Flussbett zu
überqueren und dann schnurgerade, leicht über die Soussebene zu
steigen, den Hohen Atlas hinter uns lassend, durch lockeren
Arganienbestand rechts und links der Strasse auf die ersten
Hügelketten des Anti-Atlas zu zuradeln macht uns kein Problem.
Ich habe
irgendwo wieder Ärger mit Kindern, die sich aus Jux und Tollerei
an mein Fahrrad hängen. Ältere Jungs können die Situation aber
friedlich klären. Danach sehe und fotografiere ich, was ich auf
Postkarten sah, aber nicht glauben wollte: Ziegen, die in den
dornigen Arganien rumklettern und sich an den Nüssen erfreuen.
Früher war das die erste Phase der Arganölherstellung: Die von
den Ziegen gefressenen, auf natürlichem Weg wieder
ausgeschiedenen vorverdauten Kerne wurden gesammelt und zu Speise- und
Kosmetiköl verarbeitet. Heutzutage werden die Tiere in der
Produktionskette ausgelassen.
Kaum sind wir an der weidenden
Ziegenherde vorbei, beginnt die Strasse unaufhörlich zu steigen, mal
kräftig, mal stark, mal heftig, wie es die Berglandschaft eben
hergibt, und fein angepasst von den Straßenbauingenieuren. Wir
wissen bald, was wir uns schon dachten: Nach Igherm werden wir
zwei Tage brauchen. Wir sind nicht mehr jung, nicht sportlich
trainiert, Ehrgeiz zu Höchstleistungen treibt uns auch nicht. Wir
wollen gesund und munter ankommen. Meine alten Knie werden
es mir danken.
Und
so schnecken wir die R 109 voran. Unterwegs lassen uns
Marokkaner immer wieder ihre Herzlichkeit und
Aufgeschlossenheit spüren. Ein Auto hält an,
zwei Männer steigen aus und erkundigen sich
nach unserem Wohlergehen, nach dem Woher und
Wohin. Und mit zwei frisch gebackenen, noch warmen
Weißbroten beschwert, kurbeln wir die nächsten Serpentinen hoch.
Klasse, wo doch die Bäckereien heute noch geschlossen sind. Später
hält weit vor mir ein PKW, acht Mandarinen werden am
Straßenrand deponiert, versehen mit Rufen und Winken
in meine Richtung. Auch diese Früchte werden erfreut in unser Proviantdepot
aufgenommen. Und so wie die Menschen sind, ist heute auch das
Wetter. Angenehme Temperaturen, die Sonne ist anwesend, nicht
immer brennt sie, da sich einige lockere Wolken davor schieben,
die wiederum in einem strahlend blauen Himmel schweben.
Welch ein toller Kontrast zum beherrschenden Ocker der
Landschaft, die wir unglaublich weit überblicken können.
Wind gibt es wohl auch, aber der behelligt uns nicht. Ich glaube, manchmal
schiebt er sogar ein bisschen. Es ist das sprichwörtliche Wetter
für reisende Engel.
Am Wegesrand liegen ausreichend kleine Läden, um
Erfrischungsgetränke zu sich nehmen zu können. Das alles täuscht ein
wenig über unsere Mühen hinweg, die bis zum Abend mehr
bergauf als bergab andauern. Es ist schon spät am Tag und damit Zeit,
sich Gedanken zu machen, wo und wie wir die kommende Nacht
verbringen wollen. Ausgewiesene Quartiere gibt es nicht. Auch
Nachfragen an uns günstig erscheinendem Ort bringen uns nicht
weiter. Die Menschen dort sind zurückhaltend und geben uns
einen Korb. So sehen wir uns neben der Strasse nach einem Platz
um, wo wir möglichst unauffällig wild campen können.
Um halb
fünf und nach 55 gefahrenen Kilometern werden wir fündig. Ein
Platz unter einer Arganie mit weniger Steinen als sonst hier in der
Landschaft ringsumher bietet sich uns an. Vorsichtig schieben wir
die Fahrräder die 50 Meter von der Straße dorthin. Überall
wachsen dornenbewehrte Pflanzen und Bäume. Wir haben Schiss, uns
einen Platten einzuhandeln. Das Zelt ist schnell aufgebaut. Die
Sonne sinkt. Wir schlemmen auch dank freundlicher Marokkaner
aus unserem Proviant frisches Weißbrot, den Eckenkäse La vache
qui rit, kernlose Mandarinen und Nüsse.
Es ist still ringsumher,
kein Lüftchen regt sich. Das knallige Blau geht über in ein
hellblau und davor in ein Farbenmeer aus allen Rotschattierungen.
Ungewöhnlich lange hält dieses Abendrot an. Dann erhellt ein
fast runder Mond den Platz und die Welt um uns herum. Was
sind wir doch für Glückspilze! Es geht uns gut. Ungestört können
wir diese Nacht in dieser herrlichen Landschaft verbringen.
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