LESEPROBE
Auszüge aus einigen Geschichten
Angelika-Benedicta Hirsch
Wie das mit den Bergen begann
Es hat mich kalt erwischt. Oder heiß. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel: Die Liebe zu den Bergen. Ich komme aus Vorpommern, dorther, wo man einen 50 Meter hohen Hügel "Berg" nennt, den Rodelabhang "Todespiste", und drei 50-Meter-Hügel nebeneinander "Schweiz" oder "Alpen" heißen. Ich war auch schon in Thüringen gewesen, die Drachenschlucht bei Eisenach hat mich als 6jährige nachhaltig beeindruckt und meiner Phantasie für viele Jahre Nahrung gegeben. Aber mehr war da nicht.
Bis glückliche Umstände mich als 17jährige auf Klassenfahrt ins Riesengebirge brachten: Gerhard Hauptmann und so, darum ging es, nicht so sehr um die Natur. Aber wir wanderten auch auf die Schneekoppe, das war schon mal eindrücklich. Was es aber vor allem war und was mein Leben in ein Vorher und Nachher geteilt hat, war die Fahrt mit einer Kleinbahn wieder aus dem Riesengebirge hinaus. Wir fuhren - 1973 gab es das noch überall - in so einem Bähnlein mit Plattformen an jedem Wagen. Und kein Mensch verbot einem, während der Fahrt draußen zu stehen. Ich stand also auf der Plattform des letzten Wagens und schaute zurück. Zuerst fuhren wir noch durch Wälder und zwischen Felswänden hindurch, aber allmählich gewannen wir eine weitere Perspektive, und ich sah das erste Mal in meinem Leben wirklich Berge in ihrer ganzen Schönheit und Macht. Ich war überwältigt. Auch wenn ich heute viele Berge gesehen habe, die um ein Vielfaches höher waren: DAS waren die ersten RICHTIGEN Berge meines Lebens. Sie sehe ich vor mir, wenn ich ganz allgemein an Berge denke. Ich wusste in diesen Minuten oder Stunden der Fahrt: Ich muss und werde in die Berge gehen, wann und wie auch immer. So begann es.
Es dauerte noch einige Jahre, bis ich das Vorhaben wirklich umsetzen konnte. Von den ersten beiden Abenteuern möchte ich erzählen.
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Achim Grüter
Mein Freund Mb
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Um 1 Uhr in der Nacht machte der Hüttenwirt Francois das Licht an, und jeder der an die 200 Kandidaten in der Hütte fing mit seinen Vorbereitungen an. Jetzt war ich doch voll gespannter Sorge. Würde die Kondition reichen? Würde ich auch nicht an irgendeiner dämlichen Stelle umknicken? Was würde der gefürchtete Höhensturm auf dem Bosses-Grat machen? Eine der beiden Gentout-Töchter hatte gemeint, ich wäre viel zu dünn angezogen. Hatte sie etwa recht?
Es war eine strahlend helle Vollmondnacht im Juli. Eine Prozession von Stirnlampen und knirschenden Steigeisen kroch den Hang des Dome du Gouter hoch, zog sich aber bald auseinander. Familie Gentout machte nach und nach schlapp. Erst der Papa, dann die beiden Töchter. Mir war total warm, aber gerade so, dass ich nicht schwitzen musste. Also genau richtig. Ich fühlte mich super, zuversichtlich und angestrengt.
Von den ungegliederten Schneefeldern am Gipfel des Dome du Gouter sieht man den Montblanc. Plötzlich ist er endlich da und scheint zu sagen: so what, was gibt`s denn?. Es war windstill und leise. Der Bosses-Grat ist schön geschwungen und mehrmals auf 100 Meter Länge sehr schmal, so schmal, dass nur ein Mensch oben draufpasst. Bahnt sich ein Begegnungsmanöver an, muss der Mutigere die Gratschneide verlassen und vorsichtig am steilen Hang warten, Steigeisen und Pickel fest in den Firn gerammt, bis der Entgegenkommende den Wartenden passiert hat. Dafür wird man dann meistens mit einem gequälten Lächeln bedacht. Bei den beiden Buckeln ( = bosses) führt die Spur in respektvollem Abstand an abgrundtiefen, blau-grün schillernden Gletscherspalten vorbei.
Halb sechs war ich auf dem nahezu flachen Gipfelgrat. Ich machte Fotos und versuchte, die Gefühle zu konservieren. Kurz vor sechs ging die Sonne auf. Am Horizont segelten ein paar Wolken, sonst hatte ich einen ungehinderten 360-Grad-Blick. Alles um mich herum war nur noch tiefer. Im Westen ging derweil der nun ziemlich klein gewordene Vollmond unter.
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Gabriel Franziskus Schötschel
Im Hauch der Heiligen Berge
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Griffiger dunkelgrüner Fels, teilweise mit harten Flechten bewachsen. Ein paar kräftige Griffe und rein in die Verschneidung. Endlich über den Wipfeln der Bäume, was für ein Panorama. Hinter der Fläche des tiefen Zedernwaldes die Schutthänge und Felsbarrieren. Wie die Skyline einer Großstadt wirken die Reihen der Felstürme auf den Bergkämmen. Eine dunkle Wolkenmasse beginnt wabernd, sich wie ein dickes Federbett über die Felsenriedel zu legen.
Unten aus dem Tal dringt ein Brüllen, und ein anderes Tier antwortet von der gegenüberliegenden Seite. "Bären, wir müssen unser Feuer groß machen, daß sie fern bleiben." Ich schlafe mit Sarikto auf dem Felsendach, da kann ich alles gut beobachten. "Hei hei, komm höher, das hier will ich dir noch zeigen." Auf dem Zwischenplateau, eingerahmt von Felsentürmen ähnlich denen aus der Sächsischen Schweiz, liegt ein Berg aus über 1000 kleinen Pyramiden mit 'Om Mani Pad Me hum' - Gebeten und Buddha - Abbildungen. An den Wänden der Felsen sind noch Reste von Malereien zu entdecken von buddhistischen Heiligen.
"Ja hier stand mal ein buddhistisches Kloster." Als die Rotgardisten vor 80 Jahren hier alle Klöster vernichteten und Mönche töteten, machten sich einige Mönche auf, um noch einiges an Schriften und Heiligtümern zu retten. Hier oben in den Bergen versteckt, bauten sie ein neues Kloster aus Holz. Aber nach einigen Jahrzehnten brannte es leider vollständig ab.
Ah, was für ein leckeres Süppchen Marina da gekocht hat, genau das Richtige. Nach dem heißen Essen und einem kräftigen Schluck Wodka schlafen wir in unseren warmen Schlafsäcken rund ums Feuer wie die Murmeltiere ein.
Doch die Nacht wird unruhig neben dem Feuer. Da, wieder dieses tiefe Grollen und dann das Nerven zehrende Bärengebrüll. "Sarikto, sind die Flinten geladen?" raune ich zum Felsabsatz rüber. "Na klar doch, und entsichert. Sorg du lieber für ein schönes großes Feuer, dann kommen sie nicht." So war meine Aufgabe für die Nacht geklärt.
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