BUCHPRÄSENTATION

Ernst-Jürgen Rex

Über den Berg - Mit Krebs von München nach Venedig

Reisebericht, 165 Seiten

01. 04. 2009 VVPN 00001012  , Revision 0002

 

Autor-Info:

Ernst-Jürgen Rex (verstorben am 20. August 2015)

 

Zusammenfassung

Leseprobe

ZUM INHALT

Eine Gruppe von Krebskranken wanderte im Sommer 2008 zu Fuss über die Alpen, von München nach Venedig, über 500 Km und über 30 Tage auf zum Teil hochalpinen Wegen.

Das Unternehmen wurde von der Sporthochschule Köln und der Krebsgesellschaft Nordrhein-Westfalen initiiert sowie von zwei Studenten und einer Studentin begleitet.

Was als ein medizinisches Experiment gedacht war, entwickelt sich zum Abenteuer, zur Belastungsprobe und zur persönlichen Herausforderung für jeden Einzelnen.

Der Autor berichtet als Teilnehmer über seine Erlebnisse und Erfahrungen auf diesem faszinierenden Fernwanderweg.

LESEPROBE

1. Tag, 28. Juli: München (519 m) - Wolfratshausen (576 m)

Mit deiner Ranz'n musst eh bis Portugal laffa!

Der Ausgangsort für meine Alpenüberquerung war der Marienplatz im Herzen Münchens. Zusammen mit weiteren sechs Krebspatienten und drei Studenten der Sporthochschule Köln hatten wir uns vor der Mariensäule verabredet und sind dort nahezu zeitgleich eingetroffen.

Strahlend schön war es, als wir uns alle begrüßt hatten. Entsprechend gut war die allgemeine Stimmung, und kein einziger der vielen Schaulustigen - angezogen durch die Kamerateams des ZDF und MDR-Fernsehens - hätte in uns eine Gruppe von Krebskranken vermutet. Nichts deutete daraufhin. Im Gegenteil. Die Freude stand uns allen ins Gesicht geschrieben und insbesondere wohl auch mir, denn in diesem Moment sah ich meinen Lebenstraum erfüllt: Einmal in meinem Leben die Alpen überqueren! Mit allem was dazu gehört: Tagesetappen mit acht bis zwölf Stunden Gehzeit; hochalpines Gelände mit Felsquerungen, Nebel, Regen, Schnee und Eis, und dazu ein schwerer Rucksack. Diese Aussichten haben meine Freude noch vertieft, und ich fühlte mich pudelwohl. Noch...

Ein Arzt hätte allerdings bei genauem Hinsehen vielleicht ein metabolisches Syndrom (= gemeinsames Auftreten von Übergewicht und anderen Wohlstandskrankheiten) erkannt. Ich war nämlich mit Abstand der korpulenteste Wandergeselle.

Deshalb hatte ich mit meinem Wanderziel Venedig noch einen Vorsatz und einen Wunsch verbunden: Der Vorsatz war, mein erhebliches Übergewicht von über 20 Kilogramm zu reduzieren. Der größte Wunsch war, dass mein seit einem Jahr ständig steigender PSA-Wert sinken würde. Um meinem Vorsatz, Gewicht abzubauen, Entschiedenheit zu verleihen, hatte ich mir eine Hose in den Rucksack gepackt, die mir schon seit fast zwei Jahren viel zu eng war. Genau diese Hose wollte ich dann beim Einzug in Venedig tragen.

Ob sich mein Wunsch nach einem sinkenden PSA-Wert erfüllen und mir die Hose in Venedig passen würde, würde sich zeigen. Ich komme später darauf zurück.

Doch nun wieder nach München: Mit uns hatten sich Journalisten, Rundfunk- und Fernsehanstalten eingefunden, weil es bisher das erste und einzige wissenschaftlich begleitete Projekt einer Alpenüberquerung war. Entsprechend groß war das Interesse an diesem Projekt der Sporthochschule Köln.

In sehr vielen Presseartikeln, Rundfunk- und Fernsehsendungen wurde umfassend davon berichtet. Vielleicht auch deshalb, weil der "Architekt" dieses Fernwanderweges, Ludwig Graßler, anwesend war und einen Teil der ersten Etappe mitwanderte - ein sehr interessanter Gesprächspartner und hilfsbereiter Mensch, wie sich noch herausstellen sollte.

Wie erheblich das Medieninteresse war, bewies mir eine SMS, die ich aus Italien erhielt. Dort konnten nämlich Familienangehörige in einer Nachrichtensendung des ZDF meinen Abmarsch in Richtung Englischer Garten verfolgen.

Als einziger bayerischer Teilnehmer hat mich dann auch ein Reporter des Bayerischen Rundfunks befragt, und ich hatte den Eindruck, dass er mich um dieses Abenteuer beneidet.

Vielleicht hat er auch meine Begeisterung nachempfinden können, denn der Reporter sagte in der Rundfunksendung wörtlich: "Dabei ist Ernst Rex aus Bayreuth, der die Rolle des Bergführers übernehmen will..." Doch was daraus geworden ist, dazu später mehr.

Nach diesem Interview verabschiedete ich mich dann von meinem Sohn Marcus, der mich schon in den frühen Morgenstunden vom Bahnhof München abgeholt und zum Marienplatz begleitet hatte. Zu meiner Überraschung überreichte er mir nach einem gemeinsamen Frühstück im Café Richard einen Briefumschlag und meinte: "Wenn es dir einmal nicht gut geht, dann lies meinen Brief."

Ich ahnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass ich schon sehr bald auf sein Angebot zurückkommen würde. Die ersten 20 Kilometer auf dem Weg von München nach Wolfratshausen waren wie Spazierengehen in einem großen Park. Begleitet von herrlichem Wetter, inmitten einer einzigartig und wunderbaren Natur, beseelt von einem Gefühl der Freiheit und der Leichtigkeit schwebte ich - zumindest in meinen Gedanken - dem ersten Etappenziel in Wolfratshausen entgegen. Über mein Handy erreichten mich zwei SMS von Bergfreunden aus Bayreuth, die mir mitteilten, an meinen Erfolg zu glauben und die mir alles Gute wünschten.

Es war nicht umsonst, denn allmählich spürte ich mein Übergewicht von mehr als 20 Kilogramm, und ich merkte auch, dass ich körperlich unvorbereitet war. Mehr noch: Ich hatte auf dem Rücken einen Rucksack mit annähernd 20 Kilogramm und außerdem neue Wandersandalen. Das konnte im wahrsten Sinne des Wortes "nicht gut gehen". Das Gewicht drückte zunehmend auf meine Schultern, und unaufhörlich tropfte mir der Schweiß in die Augen. Trotz starker Schmerzen an den Füßen lief ich langsam und schwerfällig weiter.

Ich war enttäuscht und traurig zugleich, weil ich nach 40 Jahren Wandererfahrung, einschließlich Grundausbildung bei der Bundeswehr, noch nie eine Blase, geschweige denn mehrere Blasen am Fuß gehabt hatte.

Trotzdem, in diesem Moment dachte ich nur an mein Ziel: Venedig. Das Bild dieser herrlichen Stadt vor Augen, ließ mich für einige Zeit die quälenden Beschwerden vergessen. Wenn ich auch Schmerzen hatte, so war ich dennoch zufrieden, weil ich dabei war, einfach nur dabei. Es wäre ein Alptraum für mich gewesen, aufgeben zu müssen.