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  BuchBaum 00000 / Ast 1.1 vom 11062015

Lothar Köster   [i]
Patmanjan und der nackte Mann


"Patmanjan" - "wie jetzt?" - "Hauptkommissarin Patmanjan" - "Ja ... also hier fehlt 'ne Leiche" - "Ich war's nicht" - "Aber Frau Papm ... Frau Kommissarin, das weiß ich ja. Sie fehlt einfach." - "Das ist gut." - "Aber wieso?" - "Sonst hätten wir ja einen Fall." - "Aber wir haben einen Fall. Alles ist absolut verdächtig." - "Bis auf die Leiche" - "Ja. In der Tat. Die fehlt nämlich." - "Aber überall in dieser Stadt fehlen Leichen, und ich sage Ihnen was, das macht mir diese Stadt so sympathisch." - "Das kommt auf den Kontext an." - "Ach, ja, da liegt mal Müll rum, da gibt es komische Figuren, aber man kann doch hier ganz nett leben. Und eine Mordkommission in einer fast leichenfreien Stadt ... das ist fast so perfekt wie eine Offizierslaufbahn bei der Bundeswehr. Wenn Sie Leichen vermissen, bewerben Sie sich in New York, also ehrlich. Da gibt's schon zum Frühstück Leichen, ausgeraubt und nackt auf die Straße geworfen." - "Hier ist es leider ähnlich, nur umgekehrt." - "Was ist an 'umgekehrt' ähnlich?" - "Wir haben alles, was man rauben kann, vom Jacket bis zur Unterhose. Nur keine Leiche." - "Sehen Sie, wir haben alles, also müssen wir nichts rauben, und folglich gibt es auch keine Leichen. Ist doch perfekt." - "Ach verflucht, Frau Parmejan, ich hab's Ihnen berichtet. Suchen Sie doch selbst." - "PAT-MAN-JAN!"

Man soll die Arbeit der Kollegen ernst nehmen. Sie fuhr dann doch hin, lief noch zehn angenehme Minuten über das morgendliche Feld und stand jetzt vor dem Ort der Fragen. "Fehlt nur die ..." - "LEICHE!" - "... dieser nette junge Mann, der solche Klamotten trägt ... und jetzt ohne rumläuft!" Der Kollege von der Streife saß viele Meter entfernt im Gras. Die Milde der Morgensonne hatte ihn etwas entspannt, und der beharrliche Westwind wohl auch ziemlich abgekühlt. "Alle bis auf den netten nackten Mann waren da. Zwei Sporttypen haben ordentlich Kreise gezogen und das Umfeld verwischt. Ein Wachschützer hat den Profi-Bullen gespielt und an den Kleidern rumgefummelt. Und zur Krönung des Karneval-Umzugs radelt hier ständig ein Psychopath mit zwei Neurosenkötern herum und brüllt völkische Parolen."

Sie schaute über die zwei Quadratmeter, die sich als Tatort anboten, die Linie der Landebahn entlang zum Horizont und dann selbigen entlang. Letzteres dauerte. "Keine weiteren Personen als Zeugen? Keine verdächtigen Bewegungen?" - "Sonst war hier niemand." Sie hatte erst knapp dreißig Bogengrad abgesucht. "Sie wissen schon, das das 'hier' hier sehr groß ist?" - "Das-Das-Hier-Hier? Brauchen Sie Sonnenschutz?" - "Können Sie den Zaun sehen?" - "Hier ist kein Zaun!" Sie schaute erst einmal den ersten Viertelkreis ab. "Diese Klamotten liegen doch genau auf der Mittellinie der Landebahn. Was sehen Sie denn am Ende der Linie?" - Der Polizist stand träge auf, schlurfte heran, trat hinter das Schuhpaar und schaute mit großer Gewissenhaftigkeit die Linien entlang. Während sich sein Blick immer weiter hob, konnte Sie in Ruhe mit dem Rest des Flughafengebäudes den Halbkreis vollenden. "Immer noch Linie ... da ist sie auch durchgezogen ... die geht ziemlich weit ... Ende! Nein, das ist eine Bodenwelle. Wie uneben so ein Flughafen ist. Mußte man wohl schließen. Die Linie geht weiter ..." Sie hatte schon die Minarette vor der Hasenheide passiert. "Dahinten ist tatsächlich Schluß. Und da ist wirklich ein Zaun!" - "Praktische Heimatkunde. Und was glauben Sie, was in jeder anderen Richtung zu sehen ist?" - "Aber das ist doch ganz woanders, das ist doch schon Tempelhof." - "Sehen Sie dort Personen?" - "Also ... mal sehen ... doch, da geht jemand lang. Aber der hat doch mit unserem Fall nichts am Hut." - "Sie können ihn sehen?" - "Ja doch." - "Kann er uns sehen?" Schweigen. Sie konnte den Rundblick zum dritten Viertel fortlaufen lassen. "Das kann nicht wahr sein." Die Baumgruppen im Südwesten, das Grün vor der S-Bahn-Strecke, der Ausschnitt der Stadtautobahn, der Kreis schloß sich. "Das glaubt man doch gar nicht." Vollendet, sich blickte noch einmal einige Stellen ab. "Das heißt, ich sitze hier für mich herum, denke, ich bin allein, und überall können mich Leute anglotzen?" - "Das geht hier jede so, sehen und gesehen werden, ein weites Feld. Na und? Sie haben doch nicht auf die Fahrbahn gepinkelt. Oder? Haben Sie sich denn überhaupt nicht umgesehen?" - "Ich dachte doch, ich wäre allein." - "Also könnte der nackte Mann einfach eine Runde gelaufen sein und jeden Augenblick zurückkehren, um sich wieder anzuziehen und zu seiner Arbeit in der Bank zu gehen." - "Wenn ihm niemand die Hosen geklaut hätte. Wir zum Beispiel."

Sie blickte auf den verunsicherten Beamten, die unanständig sauber abgelegten Kleider und das weite Rund des Flugfeldes. "Sie hatten völlig recht. Das ist kein Spaß. Das ist makaber. Das könnte ein Tatort sein." Sie schaute in aller Ruhe über die Kleidung, die wie in einer sogenannten Explosionszeichnung in der räumlichen Anordnung des regulären Gebrauchs abgelegt war. Das Unterhemd im Businesshemd im Jackett, die sauber gebundene Krawatte im Kragen, die flachgedrückte Anzughose mit hochstehender Bügelfalte, die Socken in den schwarzen Schuhen, die allerdings einfach in Verlängerung der Hosenbeine auf ihren Sohlen standen ... und die Beule, unter der dieser Pistolengriff hervor lugte. "Nichts verändert" Kopfschütteln. "Fotografien eingezogen?" Nicken. "Aber doch schade drum." - "Weil Sie einen Fall haben?" - "Weil nun doch kein nackter junger Mann mit rotem Kopf die Kleider wieder anzieht, vor unseren kritischen Augen." - "Das wär ein flotter Strip, was?" - "Strip ja nicht, eher ein Dress. Aber das ist auch nicht ohne Reize, jedenfalls anfangs. Na dann, Spu-Si!"