BUCHPRÄSENTATION

Linde Knoch

Fisch und Flügel - Märchen und Gedichte vom Alter und für das Alter

Anthologie, 149 Seiten

07. 05. 2007 ISBN: 978-3-00-021237-6   VVPN 00001003  

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Autor-Info:

Linde Knoch, Sylt / OT Westerland

 

Zusammenfassung

Leseprobe

ZUM INHALT

Die Sammlung von Gedichten, Märchen und Kommentaren besteht aus Texten, die vom Altsein in verschiedenen Aspekten erzählen. In vier Gruppen sind Gedichte, Märchen und Gedanken dazu geordnet:

"Alt und ein wenig töricht" bringt humorvolle Texte über Menschen, die sich ein wenig unbesonnen benehmen.

"Alt und mutig" versammelt Texte über alte Menschen, die ihre Lage mutig anschauen und tatkräftig handeln und sich verwandeln.

"Alt und weise" bringt Texte über alte Menschen, die ihre Lebensweisheit als Helfer und Ratgeber einsetzen, nicht nur als Schenkende, sondern auch als Prüfende und strenge Zuchtmeister.

Die vierte Gruppe "uralt und ergeben" lässt eine Verbindung zur Welt der Vorfahren, zur Jenseitswelt und zur Transzendenz ahnen.

LESEPROBE

Inhalt

I  Alt und ein wenig töricht, nur in Beziehung zu sich selbst sein

Johann Wolfgang Goethe: Das Alter ist ein höflich Mann
Märchen aus Deutschland: Frau Holles Apfelgarten
Friedrich Rückert: Mit vierzig Jahren ist der Berg erstiegen
Märchen aus China: Der Krötenkaiser
Friedrich von Logau: Weißt du, was in dieser Welt
Märchen aus Italien: Vom Gähnen
Rose Ausländer: Der Engel in dir
Märchen der Zigeuner: Die Alte, die auf den lieben Gott wartete
Rose Ausländer: Sag nicht II
Märchen aus Deutschland: Kännchen voll

II  Alt und mutig, in Beziehung zur Gemeinschaft sein

Rose Ausländer: Noch bist du da
Märchen südamerikanischer Indianer: Die Maus, die sich fledermaust
Rose Ausländer: Überschreiten
Märchen der Brüder Grimm: Die Bremer Stadtmusikanten
Friedrich Rückert: Vom künftigen Alter
Märchen aus Russland: Das einäugige Entlein

III  Alt und weise, in Beziehung zum Anderen und Fremden sein

Emanuel Geibel: Das ist das alte Lied und Leid
Märchen der Brüder Grimm: Der süße Brei
Rose Ausländer: Immer von neuem
Märchen aus Afghanistan: Morgen ist morgen
Friedrich Rückert: Sieh! Ich starb als Stein und ging als Pflanze auf
Märchen aus dem Elsass: Das Erdkühlein
Theodor Fontane: So und nicht anders
Märchen aus China: Das große Wasser
Theodor Fontane: Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland
Märchen der Brüder Grimm: Spindel, Weberschiffchen und Nadel
Ernst Bertram: Du kannst nicht sein, du kannst dich nur verschwenden
Märchen der Brüder Grimm: Die Gänsehirtin am Brunnen
Werner Bergengruen: Der Komposthaufen
Märchen aus Litauen: Der Storch und seine Kinder
Abaindranath Tagore: Ich schlief und träumte
Märchen der Brüder Grimm: Die Nixe im Teich
Rose Ausländer: Im Wandel
Märchen von den Philippinen: Die Probe
Rose Ausländer: Die Botschaft
Märchen der Brüder Grimm: Frau Holle
Rose Ausländer: Anders II
Märchen der Brüder Grimm: Die Gänsemagd
Marie-Luise Kaschnitz: Auferstehung
Märchen aus der Ukraine: Das Heilwasser

IV  Uralt und ergeben, in Beziehung zum Transzendenten sein

Ferdinand von Saar: Alter
Märchen aus Italien: Die beiden Alten, die alles wussten
Rose Ausländer: Unendlich
Märchen aus Norwegen: Der siebente Vater im Haus
Werner Bergengruen: Erde, Erde, unter deinen Schuhn
Märchen aus Island: Die Liebenden und die Zauberer
Bonhoeffer: Von guten Mächten wunderbar geborgen
Erzählung von Ovid: Philemon und Baucis
Rose Ausländer: Wenn ich vergehe
Märchen aus Rumänien: Die drei goldenen Haare
Rose Ausländer: Jeden Tag sterbe ich


I Alt und ein wenig töricht, nur in Beziehung zu sich selbst sein

Das Alter ist ein höflich Mann,
Einmal übers andre klopft er an,
Aber nun sagt niemand: Herein!
Und vor der Türe will er nicht sein.
Da klinkt er auf, tritt ein so schnell,
Und nun heißts, er sei ein grober Gesell.

Johann Wolfgang Goethe
1749 – 1832

Frau Holles Apfelgarten

(Deutschland)

Es geschah einmal, dass im Garten der schönen Frau Holle die Apfelbäume nicht mehr gediehen. Unten auf der Erde lebte eine alte Frau, und deren Apfelbäume standen im Frühling in herrlicher Blüte. Wenn der Herbst kam, senkten sich die Äste voll reifer Früchte. Da sprach die schöne Frau Holle zu ihrem Liebsten, dem Junker Tod: "Reite hinab zur Erde und hole mir die Alte herauf. Sie hat nun lange genug auf der Erde gelebt, und es wird Zeit, dass sie zu uns zurückkehrt."

Der Junker Tod reitet hinab zur Erde, klopft bei der Alten an und spricht zu ihr: "Du hast nun so lange auf der Erde gelebt, und meine Liebste, die schöne Frau Holle, will dich um sich haben. In ihrem Garten gedeihen die Apfelbäume nicht mehr. Ich soll dich holen, damit du sie pflegst."

Die Alte hatte aber noch gar keine Lust, die Erde schon zu verlassen, und sie spricht zum Tod: "Ich habe auch eine Bitte: Lass uns noch einmal Karten spielen. Weißt du, am Kartenspiel habe ich immer meine Freude gehabt. Und wir machen es so: Gewinne ich, dann musst du mich hier lassen; gewinnst du, darfst du mich mitnehmen."

Der Tod ist einverstanden. Er denkt, die Alte besiege ich leicht im Kartenspiel. Er wusste aber nicht, dass das Haus der Alten an einer Heerstraße lag und die Alte immer mit den Landsknechten Karten gespielt hatte. Sie kannte alle Kniffe. Die Alte mischt die Karten und gewinnt. Der Junker Tod runzelt die Stirne und spricht: "Lass uns noch einmal spielen."

Dieses Mal mischt er die Karten. Aber wieder gewinnt die Alte, und der Junker Tod spricht: "Jetzt lass uns noch einmal spielen!" Die Alte erwidert: "Gut, aber mehr als drei Spiele werden nicht gespielt. Das ist der Brauch. Über die Zahl drei gehen wir nicht hinaus."

Also spielen sie das dritte Spiel. Wiederum gewinnt die Alte, und sie spricht zum Junker Tod: "Geh nur allein hinauf, was gehen mich die Apfelbäume deiner Liebsten an, mir gefällt es noch in meinem Garten und hier auf der Erde."

So reitet der Junker Tod traurig hinauf in den Garten der schönen Holle. Als er nun allein kommt, da zürnt sie mit ihm und spricht: "Du wirst so lange mein Lager nicht mit mir teilen, bis du mir die Alte heraufgebracht hast."

Es kamen aber gerade die zwölf Heiligen Nächte heran, und der Junker Tod wusste, dass in diesen Nächten jedem die Türe geöffnet werden musste, und sei es auch der größte Feind. Er setzt sich also auf sein Pferd und reitet wieder hinab zu der Alten und pocht an die Tür. Die Alte öffnet. Sie war nicht sehr erfreut, als sie den Tod schon wieder sah, aber was soll sie machen: Es sind die zwölf Nächte, und da muss jedem die Tür geöffnet werden.

Der Junker Tod spricht: "Du weißt, in diesen zwölf Nächten hat jeder einen Wunsch frei. Ich habe nun diesen Wunsch: Setze dich hinter mich auf mein Pferd, reite mit mir bis zur Gartenpforte meiner Liebsten und schau hinein. Ich verspreche dir, wenn du nicht dort bleiben willst, werde ich dich wieder zurückbringen."

Die Alte spricht: "Gut, ich kann dir diesen Wunsch nicht abschlagen. Aber du musst es mir schwören, und du weißt, ein Eid in den zwölf Nächten ist zwölffach wert."

Der Junker Tod schwört, dass er sie zur Erde zurückbringe, wenn es ihr nicht gefalle. Die Alte setzt sich hinter den Tod aufs Pferd, und sie reiten hinauf in den Paradiesgarten. Dort öffnet der Tod das Tor einen Spalt und spricht: "Schau einmal hinein." Die Alte schaut durch das Tor, und da sieht sie die schöne Holle, die hat eine Krone auf aus blanken Sternen, und sie ist umgeben von schönen jungen Mädchen. Aber die Apfelbäume, die sehen kläglich aus.

Da fragt der Junker Tod: "Nun, wie gefällt dir denn der Garten, wie gefällt dir meine Liebste?"

"Ja, sie gefällt mir schon, aber siehst du, sie ist umgeben von lauter jungen Frauen, und schau mich an, wie alt und runzlig ich bin; das wird ihr nicht gefallen."

Da spricht der Tod zu ihr: "Ja, weißt du denn nicht: Wenn meine Liebste dich berührt, dann wirst auch du wieder jung und schön."

"Ja", zürnt die Alte, "weshalb hast du mir das nicht gleich gesagt und lässt mich noch dreimal Karten spielen!" Und sie sprang hinein durch das Tor, die schöne Holle berührte sie, und da war die Alte wieder jung und schön. Dann machte sie sich an die Pflege der Apfelbäume, und seither gedeihen die Apfelbäume im Garten der Holle wunderbar.

(Erzählfassung von Linde Knoch. In: Rauhnächte. hrsg. von Sigrid Früh. Stendel. Waiblingen 1998)

"Mir gefällt es noch auf der Erde! Was gehen mich die Äpfelbäume der Frau Holle an!"

Ein heiteres, erheiterndes Märchen, mit alten Motiven in jungem Gewand. Die Frau Holle im Märchen der Brüder Grimm wird meist als liebenswertes Großmütterchen dargestellt, sowohl in Illustrationen als auch im Sprachton auf Kassetten für Kinder. Dabei wird vergessen, dass es von ihr heißt "sie hatte so große Zähne, und das Mädchen fürchtete sich vor ihr". Wenn wir ein rechtes Bild von der Hollegestalt bekommen wollen, gehört der Furcht erregende Aspekt dazu.

Das Wort Holle ist verwandt mit Hel, der Unterweltgöttin der Germanen, die Leben spendet und Leben zurück nimmt. Einerseits ist sie die "Holde" oder "Hulda", die mütterlich sorgende Göttin, die segnend über die Erde schreitet, den Flachsbau und das Spinnen hütet. Faulen Spinnerinnen verwirrt sie das Garn, fleißigen schenkt sie Spindeln. Bei Göttingen ließ man ein wenig Flachs auf dem Acker ungeschnitten "vor Frû Holle", und südöstlich von Kassel liegt ein Holleteich, von dem angenommen wurde, dass er der Eingang zum Reich der Frau Holle sei. Sie schickt die Seelen in Kindgestalt ins Leben und ruft sie andererseits als Alte wieder zu sich. Nach alter Überlieferung spinnt sie im Harz in den Rauhnächten, den heiligen zwölf Nächten, aus Flachs ein Netz und fängt als Todesgöttin mit ihm die, die im nächsten Jahr sterben sollen. (Paul Herrmann. Deutsche Mythologie. Hrsg. von Thomas Jung. Aufbau Verlag. Berlin 1994 S. 299 f.)

In unserem Märchen spiegelt sich vieles davon wider. Die Alte wird in den zwölf Rauhnächten geholt; die schöne Holle ist mit dem Junker Tod verbunden; sie gibt oder verjüngt das Leben und sie nimmt das Leben.

Die Apfelbäume der Frau Holle gedeihen nicht, das ist eine unfruchtbare Situation im Paradies – ein seltsames Bild. Im Grimm-Märchen muss das Mädchen auch dem Apfelbaum helfen, die Früchte müssen geerntet werden. Übernimmt ein Mensch, der "lange genug auf der Erde gelebt" hat, nun eine "himmlische" Aufgabe? Der Tod wird ausgeschickt, um die Alte für diesen Dienst zu holen. Sie mag noch nicht die Erde verlassen. Aus anderen Märchen kennen wir das Motiv der Unordnung, in die die Erde gerät, wenn der Tod durch eine List festgehalten wird und seine Aufgabe nicht erfüllen kann. Das Gleichgewicht ist dann gestört.

Auf heitere Art erzählt uns das Märchen, dass es wohl nicht darauf ankommt, ob wir noch Lust zum Leben haben, wenn wir im Jenseits "gebraucht" werden. Der Blick durch den Spalt der geöffneten Paradiespforte ist uns sicher auch nicht immer gewährt. So mag es sein, dass wir uns eine Weile töricht weigern, mit "nach oben" zu kommen, wo wir wieder "jung und schön" gemacht werden und durch die Berührung der Todes- und Lebensgöttin eine neue Aufgabe bekommen. Ein stärkendes Bild: Wer lange genug auf der Erde gelebt hat, kann vielleicht seinem Tod sinnvoll entgegen leben.

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